Die Besteigung des Bircher Müsli

Ich lagere mich heute mal aus. Ganz und gar. Ich bin nicht nur nicht zuhause. Ich bin ganz und gar verschwunden. Für heute zeichne ich nicht verantwortlich für mich selbst. Ich bin, was soll ich sagen, eigentlich gar nicht da.

Es kann regnen oder auch die Sonne scheinen. Ich bekomme davon nichts mit. Denn ich bin nicht nur glasklar und durchsichtig, sondern ganz und gar unvorhanden. Es gibt mich so wenig, dass ich im letzten Krümel Substanz nicht mehr zu finden bin. Mein Minimalismus reduziert mich auf und davon. Koboldhaft entkörpert sich auch mein Geist in eine Leerheit, die ihresgleichen sucht.

Körper oder Geist, wenn juckt’s. Ich bin mir selbst entsprungen, auf eine ganz wunderbare Weise abhanden. Gedanken und vor allem ihre Wiederholungen lasse ich mal so ganz sein.
Natürlich können auch Kobolde noch Kaffee trinken, was ich persönlich – also was von mir persönlich gerade nicht mehr übrig ist – sehr angenehm finde und geniesse. Ach Welt, weisst Du, für den Moment, da kannst Du mich mal ganz schön egal sein lassen. Ich ruhe auf dem Gipfel der Gleichgültigkeitsskala und bin so entschleunigt, dass „Zur-Ruhe-kommen“ noch ein Schimpfwort wäre, um meinem stillen Sein gerecht zu werden. Hier und da empfange ich einen schönen Duft, das Parfum vorüber ziehender Damen, staune über Nasenpiercings – hatten das nicht sonst nur Zuchtbullen-, silberne Kugeln in Augenbrauen und darüber, dass sich die Menschen gerne selbst bestechen.

Über dem Vierwaldstättersee säuselt und kräuselt ein rauher Winterwind. Ich bin so flüchtig, dass ich gerne ein Stück mit fliege. Aber ein Schweizer Frühstück fängt mich ab und setzt mich auf einen federweich gepolsterten Sessel. Alles ist ruhig, warm und sehr höflich. Es lebt sich in beschaulich emotionaler Neutralität. Übertreibungen sind für einen Sich-abhanden-Gekommenen ohnehin fehl am Platz. Man nimmt sich einen kleinen Berg Bircher-Müsli in die Schale und besteigt ihn mit einem Löffel, der ihn dann systematisch abträgt. Das sind die Herausforderungen, die ich mir gerade noch so gefallen lasse: Einem Ei den Kopf abzuschlagen, mit einem Croissant in die Nutella zu brechen, mir meine unsichtbaren Finger abzulecken oder auch einen Orangensaft in seiner Fruchtigkeit zu überlisten, indem ich ihn einfach trinke. Den Vitaldrink lasse ich ignorant stehen. Wer so tiefenentspannt seine Abwesenheit feiert, der will dem Leben nicht noch mehr Leben einhauchen. Motivation macht sich ganz schlecht bei säuselndem Piano-Jazz, der ein sanftes Rauschen einer fernen Welt in die windigen Kurven meiner Ohrmuscheln spielt.

Es ist so zauberhaft, nicht zu sein, nicht für und nicht gegen, nicht überzeugt und überprüft, nicht angepasst und widerwillig, nicht gewollt oder verhasst, nicht sortiert und nicht getütet, nicht perfekt und nicht angestrebt, haltungslos, ja gar der Gleichgültigkeit gegenüber vollkommen gleichgültig. So empfehle ich mir für einen Hauch, für das Flüchtige, für das Nichtsein. So ganz von mir losgelassen, unerkannt und nicht wahrgenommen weiss ich selbst kaum mehr, dass ich noch bin, während mich eine merkwürdige Lebendigkeit gutmütig rettet und flauschig sanft sein lässt. Es könnte nicht schöner sein, nicht ehrlicher, nicht wahrhaftiger. Die Rechnung für das Frühstück, da kommt sie sanft geflogen und will sich schon satt setzen. Aber federleichte Frankenscheine lassen sie im Raum schweben und laden zum Tête-à-Tête der Leichtgewichte im sanften Licht des Warmen und Schönen. Was soll ich noch sagen, während alles so dahin fliesst. War es nicht Pumuckl, der aus einem Frühstück ein Spätstück gemacht hat? Und Kobolde können zaubern und die Welt hat die Schwere nicht verdient, die sie sich immerzu zumutet, und ab und zu, da will man wirklich nicht mehr als eben mal ganz unsichtbar ausserhalb der Zeit einen Walzer zu tanzen in den weiten Räumen einer sanften, hell erleuchteten Phantasie.

Have a great day…and a good life!

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